2023-24

singing

more

opera

2023.24-Detail-Default-33b6e6

Großes Haus

Iolanta / Le rossignol

Hör.Oper

Un Giorno di Regno

Die Perlenfischer (WA)

2022-23

Hello, Dolly!

Sehend auf Zeit

Dass Erich Nikolaus auch nur eine Ahnung davon hat, was auf der Bühne des Gelsenkirchener Musiktheaters abgeht, hat er der Frau in seinem Ohr zu verdanken. 
Erich Nikolaus ist blind. Verdis „Rigoletto“ erlebt er von seinem Platz im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier aber so, als sei er sehend. Linda Wolf sei Dank.
Linda Wolf (30) ist Audiodeskriptorin. Eingepfercht zwischen Partitur und Textskript hockt sie während der Aufführung von Verdis „Rigoletto“ in ihrem engen Kabuff
oberhalb des Besucherranges und drückt alle paar Sekunden auf einen roten Knopf. Wenn der leuchtet, ist das Mikrofon scharf. Linda Wolf gibt blinden Gästen wie Erich Nikolaus dann das Gefühl, wie
der sehen zu können.

Scheinbar fußballradioreporterähnlich beschreibt die dunkelhaarige Studentin der Theaterwissenschaft, was auf der Opernbühne vor sich geht. Die sehbehinderten Gäste tragen Kopfhörer, aber an nur ei
nem Ohr – damit das musikalische Erlebnis nicht verloren geht. Mit einem Fußballreporter möchte Wolf allerdings nicht verglichen werden. „Die kommentieren das Geschehen oft spannender, als es
ist“, sagt sie. Bei ihr sei das nicht so. Sie rede nichts schön, erzähle alles so realistisch wie möglich. Und Inter pretationen? Die gebe es bei ihr auch nicht.
Das Bühnenbild wechselt,der dritte Akt beginnt. Schauplatz ist eine zwielichtige Spelunke. Für die 30-jährige Linda Wolf muss jetzt alles ganz schnell über die Lippen gehen. Jeden Moment aus
nutzen, in dem nicht gesungen wird, ist ihre Devise. „Man will schließlich nicht die Musik zerreden“, sagt sie. Noch bevor Tenor Hongjae Lim in der Rolle des Herzogs zum berühmten „La donna è mobile“ ansetzt, beschreibt Wolf ganz fix das Bühnenbild, schildert dann Sekunden bevor die Kanzone beginnt, was der Herzog singen wird. „Die Frauen seien wie die Federn im Wind“, haucht Wolf ins Mikrofon. Dann hält sie inne und überlässt dem Tenor das Feld.

Es entsteht ein Wechselspiel zwischen der Stimme Wolfs und dem Gesang der Darsteler. Die Audiodeskriptorin ist präsent, aber nicht penetrant. Schließt man als Sehender die Augen und versucht nachzuempfinden, was die Sehbehinderten empfinden, wird klar, wie gut Wolf ihren Job macht. Sie sagt so wenig wie möglich und so viel wie nötig,
sagt auch mal nichts, wenn ein Solo so herausragend ist, dass ihre Stimme es zerstören würde. Anfangs noch ungewohnt, avancieren die Beschreibungen nicht nur für blinde Besucher zu einem wertvollen Service. Immerhin erklärt Wolf die Bühnenbilder, führt Protagonisten ein und übersetzt deren Texte. Eine, die das Projekt der Audiodeskription zum Erfolg geführt hat, ist Juliane Schunke.

Mit einem Team von zwei sehbehinderten und zwei sehenden Menschen konzipiert die leitende Dramaturgin im Gelsenkirchener Musiktheater in Kleinstarbeit das Skript, das den blinden Besuchern
die Oper so präzise wie möglich beschreiben soll. „Ohne die Korrekturen unserer blinden Helfer ist die Konzeption nicht machbar“, sagt Schunke.

Die Wechselwirkung zwischen Blinden und Sehenden ist das Erfolgsrezept der präzisen Audiodeskription des Musiktheaters, das das Projekt vor fünf Jahren auf Initia tive des Gelsenkirchener Blindenvereins ins Leben rief. In zwischen hat es sich überregional einen Namen gemacht. Ein Konzept, das auch Gast Erich Nikolaus schätzt. Es sei die akribische Arbeit des Hauses und dessen Engagement für die Barrierefreiheit, die er so bewundere. „Hier kriegt der Blinde wirklich alles mit“, sagt Nikolaus, der in Mönchengladbach kürzlich einen Verein für Menschen mit Sehbehinderung gegründet hat. Das Gelsenkirchener Konzept will er nun auch in seine Heimat holen. Am Theater Krefeld/Mönchengladbach gebe es so ein Projekt noch nicht. Akt drei neigt sich dem Ende entgegen. Rigoletto entdeckt seine getötete Tochter.

Linda Wolfs Stimme geht unter dem Tosen des Orchesters. Doch die Musik verrät, welch Unheil geschieht. Das Publikum johlt, Bravo-Rufe – das braucht Wolf sicherlich nicht mehr zu kommentieren. Die Frau, die den Blinden im Ohr sitzt, hat aus ihnen Sehende auf Zeit gemacht.

Ruhr-Nachrichten

Operngenuss mit Hand und Ohr

Wir wollen Sehbehinderten und blinden Menschen genau das Theatererlebnis geben wie Sehenden“, sagt Stephan Steinmetz, Dramaturg am Musiktheater im Revier. Für blinde und sehbehinderte Theaterbegeisterte bietet das MiR seit der Spielzeit 2009/10 ausgewählte Produktionen mit Audiodeskription an.

Das Gelsenkirchener Opernhaus startet mit der Wiederaufnahme von „Hoffmanns Erzählungen“ am 3. September in die neue Saison und bietet die Oper an den beiden Folgeterminen (17. und 24. September) als „Hör-Oper“ extra für Blinde an – ein deutschlandweit seltenes Angebot.

Doch um dieses Angebot zu ermöglichen, sind mehrere Arbeitsschritte nötig. „Zunächst überlegen wir, in einem Team aus Sehbehinderten und Sehenden, wer welche Akte beschreibt. Bei den Generalproben und durch DVDs der Produktion schildern die Sehenden, was sichtbar ist und schreiben das nieder“, erklärt Norbert Raestrup. Der 68-Jährige hat seit Geburt an eine Sehschwäche und hat vor drei Jahren komplett das Augenlicht verloren. „Im Anschluss wird dann jeder Akt mit uns Nichtsehenden besprochen. Dabei gucken wir, ob alles verständlich ist, man etwas ergänzen muss oder Worte fürs bessere Verständnis ausgetauscht werden müssen.“ Norbert Raestrup ist seit Anfang an bei den Produktionen der „Hör-Oper“ im Musiktheater dabei. Initiiert wird das Projekt vom Blinden- und Sehbehindertenverein Gelsenkirchen im Zusammenarbeit mit der Stadt.

In der Regel wird das beschrieben, was auf der Bühne sichtbar ist – sei es das Bühnenbild oder die Handlungen der Darsteller. Dabei achtet man darauf, dass Texte nicht zu umfangreich sind und Pausen eingehalten werden, damit der Besucher sich auch der Musik und dem Gesang der Oper widmen kann. „Die Kunst dabei ist, die Essenz zu beschreiben, dass das Geschehen auf der Bühne für Blinde verständlich wird“, sagt Steinmetz.

Sind alle Texte schriftlich verfasst, können diese dann live bei den Aufführungen von Deskriptoren aus einer Sprecherkabine per Funkanlage auf 30 Plätze übertragen werden. Die Funkgeräte haben lediglich einen Kopfhörer, der die Stimme überträgt. Mit dem anderen Ohr kann der Gast der Oper lauschen.

„Jeder bereitet sich zuvor individuell auf die Handlung der Oper vor. Ich sehe zu, dass ich einen Reclam-Opernführer mit Blindenschrift bekomme. Darin habe ich auch bereits ‘Hoffmanns Erzählungen’ gelesen“, sagt Raestrup. Auf Wunsch gibt es auch ein Programmheft in Brailleschrift.

Am Tag der Vorführung gibt es eine weitere Besonderheit, die den sehbehinderten Menschen geboten wird, damit sie die Oper auch bestmöglich verstehen und genießen können: Zwei Stunden vor der Vorstellung werden Kostüme, Perücken, Requisiten und auch das Bühnenbild aus nächster Nähe präsentiert und beschrieben. Anfassen ist ausdrücklich erlaubt. „Die Kunst dabei ist – wie für die Sehenden – keine Interpretationen zu geben“, erklärt Steinmetz.

In jeder Spielzeit stehen vier Opern und Musicals mit insgesamt acht Vorstellungen auf dem Programm der „Hör-Oper“. Auch bei weiteren Produktionen gibt es die Möglichkeit, die Aufführungen als Audiodeskription zu erleben. Folgende Produktionen in der Spielzeit 17/18 stehen ebenfalls zur Wahl: „Die Zauberflöte“, „Jesus Christ Superstar“, „Moskau, Tscherjomuschki“ und „Der Liebestrank“.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Kultur)

Hinter die Kulissen

Als ganz besonderen Service bietet das Musiktheater im Revier bei einigen ausgewählten Veranstaltungen eine Einführung für Blinde und Sehbehinderte an. Sie werfen vor der Aufführung einen Blick hinter die Kulissen, betasten die Kostüme und erkunden die Bühne.
Der ältere Herr trägt einen wenig eleganten Pyjama (oller Pullover, noch ollere Hose, eine Strickjacke) und erinnert sich an sein Leben als Held und Liebender. Günter Gajewski betastet die Jacke, lobt und schmunzelt: „So dick ist die ja gar nicht. Da muss nicht wieder jemand auf der Bühne schwitzen.“

Ein besonderer Service ist die Einführung für blinde Gäste des Musiktheaters im Revier in aktuelle Stücke: Sie können vor ausgesuchten Vorstellung die Kostüme anfassen und buchstäblich begreifen. Dramaturgin Juliane Schunke erklärt: „Don Quichotte hat die Regisseurin Elisabeth Stöppler in die heutige Zeit verlegt, er ist kein Ritter, er erlebt keine Heldentaten, sondern ein richtiges Leben, mit Familie, sogar mit Geschwistern. Der ältere Herr erinnert sich zurück, von den 30er Jahren bis heute.“

Günter Gajewski, Mitglied und Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Gelsenkirchen, gehört zusammen mit seiner Frau Margret zu den Stammgästen, die den Service nutzen. Bevor sie um 17.30 Uhr ihre reservierten Plätze im Opernhaus einnehmen (und die Erklärung der Oper mit Hilfe ihres geliehenen Audio-Diskribtionsgerätes hören können), erleben sie ganz besondere Eindrücke hinter den Kulissen und werden über die Bühne geführt, bevor sich der Vorgang hebt. Neben dem Pyjama sehen die Gäste beispielsweise die Kostüme der doppelten Dulcinée: Einerseits eine wahrhaft prächtige, rote Robe mit Kapuze und langer Schleppe sowie einem wertvollen Collier, anderseits eine ganz profane Kittelschütze, inklusive Plastiklatschen. „Sind die wirklich pink? Furchtbar!“, meint dazu Günter Gajweski.

Juliane Schunke erläutert: „In diesem Stück gibt es einerseits die Dulcinée, die von ihm verehrte Dame, der Don Quichotte die geraubte Kette wiederbringt. Und es gibt seine gleichnamige Haushälterin und Putzfrau.“ Letzterer wird einsame ältere Herr später einen Heiratsantrag machen. Neben den blinden Gästen, sind auch fünf Schülerinnen der Gesamtschule Horst, Partnerschule des MiR dabei. Kein einziges Detail zu den Kostümen lassen sie sich entgehen.

Noch spannender wird danach der Gang über die Bühne. Die blinden Zuschauer und die Schülerinnen erleben ein komplettes Haus, denn auf der Drehbühne ist alles zu finden: Sie durchstreifen das Schlafzimmer, lassen sich die Küche erklären, berühren im Bad den Knopf der Dusche, betasten die Handtücher im WC und streicheln über den glänzenden, hölzernen Körper des Cellos von Don Quichotte.
Die nächste Einführung für Blinde ist am 2. Februar. Rund 30 Audio-Deskriptionsgeräte hat das MiR.



Hör.Oper

Termine & Tickets

Was ist die Hör.Oper?

An wen richtet sich die Hör.Oper?

Worin besteht das Angebot?

Was kostet die Hör.Oper?

Wie reserviere ich Karten?

Wo informiere ich mich über das Angebot?

In den Medien