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Digitale Ausstellung: 60 Jahre Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

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60 Jahre Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

Vor 60 Jahren öffnete Deutschlands wohl visionärster und schönster Theaterneubau nach 1945 erstmals seine Pforten. Die kühne und doch zeitlose Kreation von Werner Ruhnau und seinen künstlerischen Partnern erstrebte ein Zusammenspiel von Theaterraum, darstellender und bildender Kunst und öffentlichem Raum, das beispiellos geblieben ist. Obwohl 60 Jahre für ein Theater nicht eben eine lange Zeit sind, ist das Musiktheater im Revier reich an künstlerischen Höhepunkten. Diese Ausstellung beleuchtet schlaglichtartig einige der wichtigsten Ereignisse, die das Theaterleben am Kennedyplatz geprägt haben. Einzelne Aufführungen und Künstler*innen stehen so paradigmatisch und stellvertretend für die zahlreichen Premieren und die vielen, vielen Menschen, die das Haus in den vergangenen sechs Jahrzehnten geprägt haben.

60 Jahre MiR zeigen sich hier in ausgewählten Aufführungsfotos. Die Fotos aus den Jahren 1959 bis 2008 befinden sich heute im Besitz des Theatermuseums Düsseldorf, bzw. im Stadtarchiv Gelsenkirchen, die an der Zusammengestellung dieser Ausstellung tatkräftig mitgewirkt haben. Einen großen Teil der Gelsenkirchener Theatergeschichte, und zwar den Zeitraum von 1966 bis 2008, verdanken wir den Bildern von Fotograf Rudolf Majer-Finkes, der 42 Jahre lang im Musiktheater im Revier und anderen Bühnen in NRW fotografiert hat. Sein gesamtes theaterfotografisches Werk befindet sich inzwischen im Theatermuseum Düsseldorf.
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Am Abend des 15. Dezember hob sich der Vorhang zur Eröffnungsvorstellung, der Komödie „Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare. Es inszenierte Intendant Hans Hinrich, Generalmusikdirektor Ljubomir Romansky dirigierte die Schauspielmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy, Ballettdirektor Boris Pilato hatte ein Elfenballett choreografiert. Ensemblemitglied Jürgen von Manger spielte den Handwerker Schnauz. Die zweiteilige, abstrakte Kreisbühne von Bühnenbildner Theo Lau zeigte, was im neuen Theater alles möglich war: sie konnte sich drehen, heben und senken. Darsteller wie Zuschauer mussten sich erst an die Größe und die Erfordernisse des neuen Hauses gewöhnen, denn die Aufführung wird als hölzern, laut und ohne Poesie beschrieben. Auch die Diskrepanz zwischen dem avantgardistischen Bau und einer konventionellen Theaterkunst wird in den Berichten zu dieser Premiere beschrieben. Doch: „Das Publikum war zum Schluss begeistert, es dankte mit herzlichem Beifall, in den auch das technische Personal, das in Arbeitskleidung auf der Bühne erschien, eingeschlossen wurde.“ (Buersche Zeitung)
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Die erste Opernpremiere im neuen Haus war am 20. Dezember 1959 Richard Wagners „Lohengrin“ unter der Musikalischen Leitung von Ljubomir Romansky. Es inszenierte Oberspielleiter Rudolf Schenkl, das Bühnenbild entwarf wieder Theo Lau, Schüler von Emil Preetorius. Schenkl und Lau gehören zum festen künstlerischen Team der Intendanz Hinrich und zeichneten sich bis 1966 für viele Produktionen verantwortlich. Im Bühnenbild führt unter abstrakten Bögen ein Steg in die Bühnentiefe. Dort erscheint der ganz in Gold gekleidete Lohengrin (Erich Benke)als aufgehende Sonne. Die vorherrschenden Farben sind Silbergrau, Blau und Rot. Ein azurblauer Rundhorizont schließt die Bühne nach hinten ab. Die Symbolik der Aufführung entfaltet sich in streng stilisierten Arrangements und Aktionen auf der Vorbühne, eingerahmt vom halbkreisförmig postierten Chor. „Es war eine Opern-Aufführung, die des neuen Hauses würdig war“, schrieb Dr. Franz Lorenz in „Echo der Zeit“, „Durch und um dieses Theater kann eine Gemeinde wachsen, die sich den höchsten Werten verpflichtet fühlt.“
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Im Mai 1960 inszeniert Regisseur Fritz Dittgen „Wozzeck“ von Alban Berg, die musikalische Leitung lag bei Ljubomir Romansky. Offenbar zum ersten Mal wurde die Oper pausenlos gespielt, was heute als Standard gilt. Alle 14 Verwandlungen fanden dank der neuen Bühnentechnik lautlos auf offener Bühne statt. „Gelsenkirchen darf sich rühmen, eine zwingende, geschlossene ausgewogen rangvolle Deutung erarbeitet zu haben“, schrieb die „Rheinische Post“. Bühnenbildner Christof Heyduck setzte in dieser Aufführung abstrakt-expressionistische Projektionen ein, die über das rein Gegenständliche hinausgehen und das Bild im Hinblick auf die Titelfigur verdichten. Ebenso wie Theo Lau gehörte Christof Heyduck bis 1966 zum Team um Intendant Hans Hinrich. Die Titelpartie sang Walther Finkelberg. Als Marie stand ein junges, amerikanisches Ensemblemitglied auf der Bühne: Marilyn Horne. Laut „Westdeutscher Allgemeiner“ vermittelte sie den stärksten Eindruck des Abends: „prallvoll von Leben, temperamentgeladen und musikalisch von traumwandlerischer Sicherheit.“ Die Rolle der Marie eröffnete ihr eine Weltkarriere, die sie schließlich als Mezzosopran ins Belcanto-Koloraturfach führte. Als Kind der Marie stand Andreas Mölich, Sohn von Kapellmeister Theo Mölich, auf der Bühne, später Musikmanager und von 1998 bis 2019 Intendant des Festspielhauses Baden-Baden.
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Das Jahr 1966 markiert einen wichtigen Einschnitt. Aus dem Stadttheater Gelsenkirchen wird das „Musiktheater im Revier“ mit den Sparten Oper und Ballett. Der neue Intendant heißt Günter Roth und ist ein ausgewiesener Opernfachmann. Seine erste Inszenierung war programmatisch ein zeitgenössisches Werk: Paul Hindemiths Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt.“, uraufgeführt 1957 in München. Hindemith war 1963 verstorben, bevor er eine überarbeitete und gekürzte Fassung der Oper veröffentlichen konnte. Nach Aufzeichnungen Hindemiths wurde in Gelsenkirchen nun eine Neufassung im Sinne des Komponisten erstaufgeführt. Erstmals in Gelsenkirchen auch Roths Bühnenbildner Dominik Hartmann. Beide „inszenierten einen historisch phantastischen Bilderbogen mit Zwischenschleiern, Projektionen, Proszenien und vielen bewegten Szenenbaukastenteilen. Wobei sich Hartmann speziell des Phantastisch-Dämonischen annahm“, wie die Saarbrücker Zeitung schreibt. Die musikalische Leitung dieses Abends und des Theaters lag weiterhin bei Generalmusikdirektor Ljubomir Romansky. Auf der Bühne neben vielen anderen: Ursula Schröder als Keplers Frau und Günter Reich als Tansur.

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1966 war auch das Jahr, in dem das neue Musiktheater im Revier eine Kooperation mit dem Schauspielhaus Bochum aufnahm. Beginn dieser Zusammenarbeit war im September 1966 eine „Ariadne auf Naxos“ nach der Urfassung, mit Hugo von Hofmannsthals Komödienbearbeitung „Der Bürger als Edelmann“ (inszeniert vom Bochumer Intendanten Hans Schalla) als Vorspiel zu Richard Strauss’ Oper „Ariadne auf Naxos“ ( inszeniert von Günter Roth). Am 25. Dezember 1966 steht dann schon wieder die gängige Version der Oper – ohne Schauspiel - in Gelsenkirchen auf dem Spielplan. Ein Überraschung für die Nachwelt: Fotograf Rudolf Majer-Finkes hat diese Aufführung in Farbe fotografiert. Und so erstrahlen prunkvoll Bühne und Kostüme von Ottowerner Meyer aus dem Jahr 1966 in den wunderbarsten Farben. Auf einer weißen Bühne mit leicht stilisierten barocken Suffiten und Leuchtern sowie einem kompletten barocken Proszenium, steht eine zweite Bühne mit schachbrettartig gemustertem Boden. Im Hintergrund der Felsen einer „wüsten Insel“ und ein blauer Rückprospekt. Ebenfalls barocke Kostüme lassen alle Darsteller wie Kunstfiguren dieses Spiels des 20. Jahrhunderts mit Formen des 18. Jahrhunderts wirken.
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Zu den herausragenden Inszenierungen der Intendanz Günter Roth gehört die Westdeutsche Erstaufführung von Sergej Prokofjews „Krieg und Frieden“ am 27. September 1969. Dank Generalmusikdirektor Ljubomir Romansky waren in Gelsenkirchen immer wieder bedeutende russische Opern zu erleben, die es in der Bundesrepublik sonst nicht zu sehen gab. In einer Bearbeitung und neuen deutschen Übersetzung inszenierte Günter Roth Prokofjews episches Mammutwerk über den Russlandfeldzug Napoleons. Die Bühne von Dominik Hartmann zeigt ein kreuzförmiges Spielpodest zwischen Projektionsflächen. Durch ausgefeilte und überlagerte Projektionen von historischen Landkarten und Illustrationen sowie Landschaftsbildern und Soldatenfriedhöfen aus dem 2. Weltkrieg gelingt die Vermischung der Zeitebenen. Der Bariton Günter Reich, der seine Karriere in Gelsenkirchen begonnen hatte, sang 1969 in „Krieg und Frieden“ als Fürst Andrej Bolkonski noch einmal auf der Bühne des Musiktheaters.
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Auf Intendant Günter Könemann folgt 1977 Claus Leininger. Er engagiert den bis dahin kaum bekannten jungen schwedischen Regisseur Göran Järvefelt als Oberspielleiter. Die Eröffnungspremiere der Ära Leininger ist seine Inszenierung von Giuseppe Verdis „Don Carlo“ mit Bühnenbildern von Carl Friedrich Oberle. Am Pult steht erstmals der neue Generalmusikdirektor Uwe Mund, der auf die 27jährige Zeit von Ljubomir Romansky folgt. Auch in Ästhetik der Aufführung gibt es wieder Neues: Die Darsteller in dezent historischen Kostümen agieren auf offener, weiter Bühnenfläche. Es gibt wenige Möbel und kaum Requisiten. Stoffbahnen hängen von der Decke. Die Historie überlagert nicht den Charakter der Figuren, die Inszenierung lebt vom heutigen Spiel der Interpreten. Oper darf auch Oper bleiben, sagte Järvefelt, in einer Zeit, in der immer stärker Kriterien des Schauspiels auch auf Oper angewandt wurden. Göran Järvefelt galt bis Ende der 80er Jahre als stilbildender Regisseur.
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Es war Intendant Claus Leininger, der den bereits im Schauspiel sehr erfolgreichen Regisseur Dietrich W. Hilsdorf für die Oper gewinnen konnte. In der Spielzeit 1981.82 feierte mit Tschaikowskys „Eugen Onegin“ Hilsdorfs erste Operninszenierung Premiere. Ausstatter war sein langjähriger künstlerischer Partner Johannes Leiacker. John Janssen spielte und sang einen zutiefst verzweifelten Titelhelden, Ensemble-Star Sue Patchell glänzte als Tatjana (beide im Bild oben). Bislang 17 weitere, stets überaus intensive Regiearbeiten sollten folgen, darunter ein packender „Otello“, von Ruhr-Nachrichten-Kritiker Henning Dickel zu den „beiden erstaunlichsten, vollkommensten Regiekonzeptionen der Ära Leininger“ gezählt und „Hoffmanns Erzählungen“ mit Mario Brell in der Titelrolle. Unvergessen Hilsdorfs „Entführung aus dem Serail“ ohne Bilderbuch-Orient im Bühnenbild von Erwin W. Zimmer, 1977-1996 einer der wichtigsten Bühnenbildner am MiR. Epochemachend der Mozart-Da Ponte-Zyklus der frühen 1990er Jahre. Die Männer bekamen hier ordentlich ihr Fett ab, und so wurde aus dem frauenverachtenden „Così fan tutte“ ein entlarvendes Così fan tutti“. Und mit seiner Inszenierung von Janáčeks Opernkrimi „Die Sache Makropulos“ macht er dem MiR das denkbar schönste Geburtstagsgeschenk.
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Schon immer war das MiR ein Ort für Zeitgenössisches. Dazu verpflichtete schon allein die zukunftsweisende Architektur des Gebäudekomplexes am Kennedyplatz. Die MiR-Chronik verzeichnet bis heute nicht nur etliche Uraufführungen und gesamtdeutsche wie westdeutsche Erstaufführungen, sondern beweist auch, wie hier das Repertoire des 20. Jahrhunderts schon immer gepflegt wurde. Mit der Sängerin Carla Henius (1919 - 2002) engagierte Intendant Leininger 1977 eine der wichtigsten Exponentinnen zeitgenössischen Musiktheaters ans MiR. Henius machte sich für eine starke Präsenz Neuer Musik im Spielplan stark. So fand am 13. März 1982 die deutsche Erstaufführung von Henri Pousseurs Oper „Votre Faust“ (Bild) statt, bei der das Publikum den Gang der Handlung mitbestimmen durfte. Henius’ musiktheater-werkstatt, in der Neue Musik auch szenisch erprobt wurde, war legendär. Sie exportierte schließlich das Gelsenkirchener „Werkstatt- Modell“ erfolgreich ans Staatstheater Wiesbaden, wohin sie „ihrem“ Intendanten 1986 folgte.
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Jaroslav Chundela war ein weiterer, prägender Regisseur während der Intendanz Claus Leiningers. Geboren im tschechischen Brünn, übersiedelte er 1978 in die Schweiz und arbeitete ab da auch in der Bundesrepublik, sowohl im Schauspiel als auch in der Oper. Zu seinen wichtigsten Regiearbeiten zählte Günther Bialas’ Oper „Hero und Leander“. Das Stück basiert auf Grillparzers Verstragödie „Des Meeres und der Liebe Wellen“ und thematisiert die tragische Liebe zwischen der Priesterin Hero und dem Fischer Leander. Noch heute präsent ist die „Inszenierung von außerordentlicher Dichte und Schönheit“ (Henning Dickel) nicht zuletzt dank des eindrucksvollen Bühnenbildes von Johannes Leiacker mit dem „Flügel des Ikarus“ als Symbol ihrer gescheiterten Liebe. Die Produktion des Stückes von Günter Bialas, nach der Mannheimer Uraufführung 1966 erst die zweite Inszenierung weltweit, wurde in der Fachzeitschrift „Opernwelt“ sehr gelobt: „Dass die Gelsenkirchener Aufführung zum Glücksfall geriet, ist womöglich ein unschätzbares Geschenk für das Werk, dem die Lebenschance damit nachdrücklich bescheinigt wurde.“ Ein weiteres Bühnenwerk von Bialas, „Die Geschichte von Aucassin und Nicolette“, stand in der Spielzeit 1981.82 auf dem Spielplan des MiR – beides Beweise für den hohen Stellenwert, den die zeitgenössische Oper am MiR bis heute genießt.
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Aus Frankfurt war Mathias Weigmann 1986 nach Gelsenkirchen gekommen, nur zwei Spielzeiten prägte er als Intendant das MiR, das damals von erheblichen Etatkürzungen bedroht war. Im Gedächtnis blieben vor allem zwei Arbeiten des Regisseurs Herbert Wernicke, der auch als sein eigener Bühnen- und Kostümbildner in Erscheinung trat. Mit Monteverdis barockem Polit-Thriller „L’incoronazione di Poppea“ (Die Krönung der Poppea, oberes Bild mit Cornelia Kallisch und Sophie Boulin als Nero und Poppea) hinterließ Wernicke einen starken, bildmächtigen Eindruck zur Eröffnung der Weigmann-Intendanz. Wernickes zweiter Gelsenkirchener Geniestreich war in der Folgespielzeit Ermanno Wolf-Ferraris selten gespielte komische Oper „Il campiello“, die ein realistisches venezianisches Setting mit feinster Personenregie verband. Wernicke inszenierte später an allen großen Bühnen der Welt, besondere Erfolge feierte er bei den Salzburger Festspielen unter der Intendanz des späteren ersten Ruhrtriennale-Intendanten Gerard Mortier.
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1978 wurde Bernd Schindowski Ballettdirektor am MiR und machte das Ballett zum Markenzeichen, so dass es später sogar seinen Namen trug. Empfohlen hatte ihn der Regisseur Giancarlo del Monaco, und Intendant Leininger ging das Wagnis ein, dem gerade mal 30-Jährigen, der in Ulm als Choreograf erste Erfolge gefeiert hatte, die Leitung der Ballettsparte zu übertragen. Zu den Höhepunkten des Ballett Schindowski zählt unzweifelhaft die „Johannes-passion“ auf die Musik von Johann Sebastian Bach, die mit ihren Arien, Chorälen und Turba-Chören einen für die damalige Zeit hochmodernen Kosmos des Menschlichen umreißt und bis heute nichts von ihrer Dringlichkeit verloren hat. „Ein Menschheitsballett, so vielgestaltig wie einleuchtend, so aggressiv wie tröstend“, resümierte Jörg Loskill und skizzierte damit die zu starken Kontrasten tendierende Ästhetik Schindowskis. Unvergessen sind auch weitere wichtige Arbeiten Schindowskis wie „Winterreise“, „Stabat Mater“/„Der Feuervogel“, „Reise nach Kythera“ oder „Das kriminelle Kind“. Unvergessen auch Tänzerpersönlichkeiten wie Rubens Reis, Linda Calder oder Rolf Gildenast. Die Bühne zu diesem wie zu vielen anderen Balletten von Bernd Schindowski entwarf Manfred Dorra. Er gehört zu den langjährigsten Mitarbeitern des MiR, das er von Anfang an kennt: von 1959 bis 2006 war Manfred Dorra im Haus tätig, u. a. als Werkstattleiter und Malsaalvorstand.
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Die Operette gehörte lange Zeit zum festen Bestandteil eines Stadttheater-Spielplans. Auch am MiR wurden die Repertoire-Klassiker von „Fledermaus“ bis „Zarewitsch“ gepflegt. Überließ man das vermeintlich „leichte“ Genre in der Frühzeit des MiR eher den Routiniers, so zeugt die Verpflichtung namhafter Regiepersönlichkeiten in späteren Jahren von der Wertschätzung der Operette: Neben Dietrich W. Hilsdorf, dem 2014 die „Csárdásfürstin“ glückte, ist hier vor allem Christof Loys Regiedebüt mit Offenbachs „Fantasio“ zu nennen. Offenbach strebte sein Leben lang nach einem durchschlagenden Erfolg als Opernkomponist – den Triumph von „Hoffmanns Erzählungen“ hat er nicht mehr erleben können. „Fantasio“ ist gewissermaßen die Vorstufe zum „Hoffmann“ (der am MiR gleich in zwei Modellinszenierungen – erneut von Dietrich W. Hilsdorf und von Michiel Dijkema – zu sehen war). Freilich ist die Nähe zur Operette, oder zumindest zur Opéra comique mehr als deutlich, was bereits die gesprochenen Dialoge bezeugen. Fantasio ist vom selben Weltekel geplagt wie später der Dichter E.T.A. Hoffmann und hält in der Rolle des Narren am bayerischen Königshof der Welt einen Spiegel vor (Ausstattung Herbert Murauer). Für Loy war die erste Inszenierung am MiR ein wichtiger Schritt – Ludwig Baum förderte auch die Karrieren wichtiger MiR-Regisseur*innen wie Gabriele Rech oder Immo Karaman.
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Albert Lortzing war lange Zeit eine der tragenden Säulen des deutschen Stadttheaters. Doch irgendwann wurde es still um „Zar und Zimmermann“, „Der Wildschütz“ und „Der Waffenschmied“ – zu leicht, zu harmlos, zu biedermeierlich, so die Tendenz. Bis am MiR die Ehrenrettung Lortzings gelang: Seine Revolutionsoper „Regina“ wirkte wie ein Paukenschlag. Es inszenierte Peter Konwitschny, der für diese Produktion zusammen mit seinem Hamburger „Lohengrin“ auch gleich „Opernregisseur des Jahres“ der Fachzeitschrift „Opernwelt“ wurde. Der Stoff ist ungewöhnlich sozialkritisch für Lortzing: Ein Vorarbeiter, der die Tochter des Fabrikanten heiraten will, ein anderer, der sie entführt. Streikende Arbeiter, Sozialisten gegen Kommunisten, Realos gegen Fundis. Und eine Heldin, die den Helden kurzerhand erschießt. Am Ende feiert das Volk im Revolutionsjahr 1848 die Utopie von Freiheit und Demokratie. Diese erstmals in der Urfassung gespielte „Regina“, deren Aufführung Lortzing nie erleben durfte, ist ein Meilenstein im Werk des Komponisten – und einer der Höhepunkte in der Intendanz von Ludwig Baum. Ein Erfolg in konfliktreicher Zeit: 1996 fusionierten das MiR und die Wuppertaler Bühnen zum „Schiller-Theater NRW“. Die Theaterehe wurde 2001.02 „geschieden“.
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  Im von Bernd Schindowski 1998 ins Leben gerufenen Education-Projekt „Heavy Music – Cool Love“ verschmolzen die Lebensrealitäten Gelsenkirchener Jugendlicher mit Choreografien der Ballett-Compagnie. Was als Experiment begann, entwickelte sich zu einer Tradition, die seit mehreren Jahren federführend von der Ballettmeisterin und ehemaligen Ballett-Schindowski-Tänzerin Marika Carena betreut wird. Unter der Ballettdirektorin Bridget Breiner entwickelte sich das Format zu „Move!“, wanderte vom Kleinen Haus ins Große und bot alleine in der Spielzeit 2018.19 über 100 Jugendlichen die Gelegenheit, in Tanz und Bewegung eine neue Ausdrucksform zu finden. Die Erfahrungen, die sie auf der Bühne des Musiktheaters machen, begleiten sie über den Schulalltag hinaus. Viele weitere Angebote der Theaterpädagogik sorgen dafür, dass Kinder und Jugendliche nicht nur in Kontakt mit dem Musiktheater kommen, sondern auch Teil des MiR-Teams werden, wie z.B. durch den 2019 gegründeten Kinderchor.
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Belcanto und Revier? Der elaboriert-versponnene Schöngesang und die pragmatisch-direkte Herzlichkeit der Ruhrgebietsbewohner, das schien auf den ersten Blick nicht recht zusammenzupassen. Doch die sprichwörtliche Aufgeschlossenheit des MiR-Publikums führte zum Erfolg von Raritäten mit so komplizierten Titeln wie „Rosmonda d’Inghilterra“ oder „Il furioso all’isola di San Domingo“, die vor allem während der Intendanz von Peter Theiler ihren Weg in den Spielplan fanden. Als wahrer Publikumsrenner erwies sich Rossinis „Die Reise nach Reims“. Darin ist eine illustre Gesellschaft, unterwegs zur Krönung Karl X., in einem Hotel gestrandet. Das ist tatsächlich die „Handlung“, und Rossini zeigt sich darin als Vorreiter des Absurden Theaters. Es inszenierte Andreas Baesler, dem ein spielfreudiges Ensemble mit Anke Sieloff an der Spitze zur Seite stand. Und es zeigte sich, dass Belcanto nicht nur süchtig machen kann, sondern dass hinter den kunstvollen Gesangsverzierungen eine echte theatralische Wahrhaftigkeit steht.
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Zum 100. Geburtstag machte der FC Schalke 04 seinen Fans ein ungewöhnliches Geschenk – ein Musical. Das Blau der Bühne strahlte in den Zuschauerraum, wie die Spielertrikots im Stadion oder die Yves-Klein-Reliefs im MiR-Foyer. Im Musical „Nullvier – Keiner kommt an Gott vorbei“ droht dem Verein eine Woche vor Saisonende der Abstieg in die zweite Liga. Ein Nachwuchstalent bringt neue Hoffnung, muss sich aber nicht nur seiner Konkurrenz, sondern auch den großen Fragen der Liebe stellen. Filmmusikkomponist Enjott Schneider entwickelte das Stück zusammen mit dem Drehbuchautor Michael Klaus. Die Songtexte stammen von Bernd Matzkowski, dessen Vater Paul in den 50er Jahren selbst bei Schalke gespielt hat. Das Musical legte den ersten Grundstein für die Verbindung zwischen Arena und Musiktheater. 11 Jahre später folgte der Gegenbesuch. Beim Schalke-OraTORium „Kennst du den Mythos…?“ von Dieter Falk, Heribert Feckler und Ulf Schmidt wurde im September 2015 ein Spektakel auch für die Veltins-Arena geschaffen.
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Das Musical hatte von je her seinen festen Platz im Spielplan des MiR. Die aktuellen Blockbuster aus den USA fanden rasch ihren Weg an den Kennedyplatz: „Hair“, „Cabaret“, „Der Mann von La Mancha“ oder „West Side Story“. 1972.73 wurde Paul Kuhns „Fanny Hill“ mit Marlène Charell als tänzerisch-sängerischer Lichtgestalt in der Titelrolle aus der Taufe gehoben. Auch Deutsch-Gemütvolles wie „Das Wirtshaus im Spessart“ – dieses sogar als Uraufführung von Franz Grothe – war am MiR zu sehen. Daneben finden sich auch Beiträge zum Gegenwartstheater wie Dieter Zimmermanns „Wer kennt Jürgen Beck?“ oder Udo Jürgens’ „Helden, Helden“. Dank der Möglichkeit, aktuelle Themen in zeitgemäß-eingängiger Tonsprache zu verhandeln, konnte sich das Musical dauerhaft am MiR behaupten – jüngste Erfolgsbeispiele sind „Jesus Christ Superstar“ oder „Big Fish“. Intendant Peter Theiler setzte auf die Wiederentdeckung von Musicalklassikern wie Porters „Silk Stockings“ oder Gershwins „Crazy for you“. Von Gershwin wurde in deutscher Erstaufführung (Regie: Matthias Davids) auch die Musical-Satire „Strike up the Band“ gezeigt, die einen fiktiven schweizerisch-amerikanischen Käse-Handelskrieg zum Thema hat. Die humorvolle Titulierung des MiR als „Broadway im Revier“ hat also durchaus ihre Berechtigung.
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Aus unscheinbaren Straßenmöbeln setzt sich ein Küstendorf zusammen. Aneinandergeklammert schützen sich die Bewohner vor dem Sturm. Nur ein Einzelner zieht aufs Meer hinaus, verstoßen, nie akzeptiert, ob seiner Eigenbrötelei für schuldig befunden. Ob er seinen Lehrjungen wirklich in den Tod getrieben hat, spielt keine Rolle. Wer sich mit dem Außenseiter verbündet, ist als nächstes selber dran. Die Werke von Benjamin Britten haben auf den Spielplänen des MiR bis heute einen besonderen Platz. Über drei Spielzeiten lang rückte der Komponist unter einem ungewöhnlichen Aspekt in den Fokus. In der „Außenseiter-Trilogie“ wurden drei Werke in Beziehung gesetzt, die man selten so erlebt: Mit „Gloriana“, der Krönungsoper zu Ehren von Königin Elisabeth II. über die Geschichte von Elisabeth I., einem szenischen „War Requiem“ und Brittens Opernerstling „Peter Grimes“ beleuchtete Elisabeth Stöppler Einsamkeit und Ängste, Verantwortung und die Grausamkeit, die eine Gesellschaft haben kann. Für „Peter Grimes“ und damit ihre erste Arbeit am MiR, erhielt die damals 32-jährige Regisseurin und aktuelle FAUST-Preisträgerin den Götz-Friedrich-Preis und den Förderpreis des Landes NRW. Am Pult stand Rasmus Baumann, damaliger Chefdirigent und seit der Spielzeit 2014.15 GMD der Neuen Philharmonie Westfalen.
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Das erschütternde Leben der jüdischen Malerin CharlotteSalomon, die 26-jährig im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet wurde, zu einem Ballett zu gestalten, war ein Wagnis. Doch Bridget Breiner, Ballettdirektorin 2012 - 2019, schuf eine ergreifende Tanz-Version dieser von Hoffnung ebenso wie von Verzweiflung geprägten Lebensgeschichte, in der die Tänzerin Kusha Alexi als Charlotte zutiefst berührte. Die Bilder Charlotte Salomons sind als Projektionen ständig präsent. Die Musik zu diesem Gesamtkunstwerk aus Tanz, Musik, Text, Bild und Gesang hatte die US-amerikanische Komponistin Michelle DiBucci eigens für das MiR geschrieben. Die Uraufführung wurde auch von der überregionalen Presse begeistert aufgenommen: „Lässt sich diesem Stoff ein Ballettabend abzwingen? Kann der Tanz dieser Geschichte gerecht werden? Gelsenkirchens Ballettchefin Bridget Breiner hat diese Frage gemeinsam mit der Komponistin Michelle DiBucci im Musiktheater im Revier triumphal beantwortet“, so Dorion Weickmann in der „Süddeutschen Zeitung“. Die Produktion wurde in der Kategorie „Beste Choreografie“ mit dem Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet.
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Am 28. Januar 2017, einen Tag nach dem offiziellen Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus, findet im MiR die Premiere von Mieczysław Weinbergs Holocaust-Oper „Die Passagierin“ statt. Anwesend ist die Autorin und Auschwitz-Überlebende Zofia Posmysz, auf deren autobiografischer Erzählung die Oper beruht. Zum letzten Mal geht Zofia Posmysz an diesem Abend zum Schlussapplaus auf die Bühne. Die Inszenierung von Gabriele Rech, seit 1994 dem Musiktheater als Regisseurin verbunden, ist erst die dritte nach der szenischen Uraufführung. Gabriele Rech hat ihre Karriere am MiR begonnen und ist immer wieder hierher zurückgekehrt. Besonders eindringlich erzählt sie die Geschichte von Lisa und Walter, in deren Leben die verdrängte Erinnerung an ihre Vergangenheit als Lageraufseherin einbricht. Das Bühnenbild von Dirk Becker und die Kostüme von Renée Listerdal lassen die beiden Zeitebenen der Oper verschwimmen, die Vergangenheit wird durch Lisas Erinnern und Erzählen plötzlich in der Gegenwart real, ohne dass der Schiffssalon als Ort der Gegenwart ganz verschwindet.
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Seit 1959 besitzt das Gelsenkirchener Theater eine Tradition bedeutender Paul Hindemith-Aufführungen. Dazu zählt auch die jüngste, „Mathis der Maler“, in der Inszenierung von Michael Schulz und unter der musikalischen Leitung von GMD Rasmus Baumann. Die Oper stand zum Reformationsjahr 2017 auf dem Programm. Die 1933 komponierte Oper über den Renaissance-Maler Matthias Grünewald ist ein Bekenntniswerk über die Stellung des Künstlers in Umbruchzeiten. Sie zeigt die Wirren der Reformation als Spiegel der politischen Ereignisse in den 30er Jahren. In Michael Schulz’ bildmächtiger, aber nicht historisch erzählter Inszenierung wird eine Verbindung des Malers Mathis zu Yves Klein und dessen Kunstaktionen hergestellt. Das Bild in Mathis’ Atelier ist abstrakt blau. Die Bühne von Heike Scheele schafft durch bewegliche Architekturteile immer wieder neue geschlossene und monumentale Räume und spielt auf unterschiedlichen Ebenen. Die Kostüme von Renée Listerdal schlagen eine Brücke aus der Renaissance in die Gegenwart.
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60 Jahre nach seiner Gründung erfindet sich das MiR wieder einmal neu. Da ist zum einen eine künstlerische Neuorientierung im Tanz: Giuseppe Spota hat seine MiR Dance Company auf sechzehn Tänzer*innen aufgestockt und mit einem Strawinsky-Doppelabend für einen starken Auftakt gesorgt. Neue Wege beschreitet das MiR auch mit der Gründung einer Puppentheatersparte – zum ersten Mal überhaupt an einem Musiktheater. An Produktionen wie Jan Dvoˇráks „Frankenstein“, der Uraufführung der Kinderoper „Drei miese, fiese Kerle“ von Zad Moultaka oder Guus Ponsioens heiterem Commedia-dell’arte-Märchen „Perô oder Die Geheimnisse der Nacht“ lässt sich die stilistische wie inhaltliche Bandbreite der zeitgenössischen Puppenspielkunst ermessen. Eine in dieser Form einmalige Kooperation ist auch das seit Beginn der Spielzeit 2019.20 existierende Opernstudio NRW für junge Sänger*innen und Korrepetitor*innen, bei dem die Opernhäuser in Dortmund, Essen und Wuppertal eng mit dem MiR zusammenarbeiten. Nach wie vor bilden ein festes und sich stetig entwickelndes Sängerensemble und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Neuen Philharmonie Westfalen das Herzstück des MiR. Mehr denn je versteht sich das MiR als aktiver Mitgestalter einer demokratischen, offenen Stadtgesellschaft.
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Fotonachweis

Herzlich gedankt sei an dieser Stelle für ihre große Hilfe und Unterstützung folgenden Personen und Institutionen:

Rudolf Majer-Finkes (© Theatermuseum Düsseldorf)
Kurt Saurin-Sorani (© Stadtarchiv Gelsenkirchen,
© Theatermuseum Düsseldorf)
A. Nagel (© Städtische Bühnen Gelsenkirchen)
© Karl und Monika Forster
© Pedro Malinowski
© Costin Radu

Ellen Stramplat (Gelsenkirchen)
Dieter Host (Stadtarchiv Gelsenkirchen)
Dr. Michael Matzigkeit, Sigrid Arnold (Theatermuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf)

Redaktion: Dramaturgie Musiktheater im Revier
Pageflow: Christoph Nagler
Grafik: Axel Golloch

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